Maria-Charlotte Weiß – v. Restorff
Für Lieschen
Abschied und Willkommen
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Ein hektischer Morgen Ende April. Das Telefon läutet besonders schrill: Die Nachbarn fahren bereits heute Mittag, Treffpunkt Scharbeutz, Schleswig-Holstein, am Dritt-Tag.
Danach ein Packen, ein Rennen und Räumen, Kleid über Kleidchen mit Schmuck in den Säumen. Die Nähmaschine – das Radiogerät – Verzweifeltes Suchen – „Margretchen?!“ – zu spät! |
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Ein trauriger Rundblick: Zum letzten Mal Grüße vom Park durch die Fenster im Saal. Ein Schreck – ein Geräusch an der Seitentür: Zwei Fremde im Kopftuch. – Was suchen die hier?!
Hinaus aus dem Haus – die Stufen hinab – Hinein in den Wagen – und schon geht es ab! Schnell über den Hof, zum Tor hinaus – Die Einhorne grüßen. – Ein Traum ist aus.
Wohl winken die Menschen, vor Zukunftsangst leis’, Im Gedächtnis bleibt einzig Lieschen in Weiß. Ein letztes Gespräch mit Tränen im Blick: „Wir sind ganz bestimmt recht bald wieder zurück!“
Zum Dorf hinaus – Richtung Pepelow – Am Schulhaus vorbei nach Irgendwo. Heimatlos, schutzlos gen Süden, dann Westen, „Die Russen sind nah! – Zur Trave am besten!“
Die Kutsche mit Kindern, zwei Ackerwagen, Das Teppichdach drüber von Latten getragen. Die Wagen gezogen von Pferden, die treu Ihre Arbeit wie immer tun, ganz ohne Scheu.
Chausseebäume fliegen am Fenster vorbei. Eine Stadt liegt in Trümmern, fast alles entzwei. Übernachtung bei Freunden. Dann wieder Getrappel. Ein Tieffliegerangriff – Schutz unter der Pappel.
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Das Essen vom Feuer am Straßenrand, Der Hafer für Pferde aus Säcken am Band. Nach holp’riger Fahrt von zwei Tagen Dauer: Der Eintopf in Kannen am Landauer – sauer!
Die Travebrücke – hinüber – gesprengt! Die Türme von Lübeck. Die Sonne sengt. Fürs erste gerettet. Ein Ende der Not? Erstaunen der Kinder: Ovales Brot!
Zwölf Wochen Sommer am Timmendorf-Strand. ‚Kap Arkona’ – Entsetzen! – Die Leichen im Sand. Kriegsende und Umbruch, Deutschland vier Zonen. Die bange Frage: Wo wird man wohnen?
Anfang August wieder Aufbruch. Der Treck, Von Pferden gezogen, in Richtung Einbeck. Für drei Frauen, den Jungen: zwei Wochen Gefahr; Für drei Kinder Chausseefreiheit – wunderbar! |
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Charlotte v. Restorff mit den Kindern 1947 in Einbeck
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In Einbeck als Flüchtlinge, Enge und Not, Kein Geld, keine Arbeit, ,Schiebewurst’ auf dem Brot. Nach drei Jahren Zone dann ‚Bundesrepublik’: Vierzig D-Mark für jeden zum Start in das Glück.
Danach vierzig Jahre lang Zweistaatlichkeit. Der ‚Eiserne Vorhang’ bringt Kummer und Leid. Hier Freiheit und Wahlen – dort ‚Volksdemokratie’. Sozialismus – Realismus? – Nein! Utopie!
Nach vierzig Jahr’n drüben Revolution! Gewaltlose, friedliche Demonstration. Am Anfang die Rufe: „Das Volk sind wir! – Freiheit jetzt, oder wir bleiben nicht hier!“
Tausende schweigende Menschen mit Kerzen, Plakate mit Wortwitz, politischen Scherzen. Die Mauer fällt! Deutsches Freudenfest! Berlin strömt in Freiheit von Ost nach West.
Und endlich, endlich – nach so langem Träumen Über die Grenze! Ein Tunnel von Bäumen Die Straße von damals durchs Mecklenburg-Land. Zu zweit nun im Auto zum heimischen Strand.
Grev’smühlen, Klein-Strömkendorf, Pepelow – Die Schule von damals – und endlich dort R a k o w ! Ganz kurz nur zu seh’n: Aus dem Park hervor Grüßt das Vaterhaus, ockergelb. – Parken am Tor. |
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Westdeutsche Fahnen! Die Linden! Hinaus! Ställe verstellen den Blick auf das Haus. Außen herum – die Stufen hinauf – In die Diele hinein... Da stockt der Lauf:
Fahl fällt das Licht durch drei Fenster im Saal Auf ‚Konsum’-Artikel im Holzregal. Vereinzelte Tüten, ein einsames Brot, Getränkekästen in gelb, blau und rot.
Verängstigt gefragt in den Lattenverschlag. „Fotos verboten! Warum auch?“ die Frag’. „Ich bin von hier. Ich komme zurück.“ „Wer sünd sie denn?“ – Lieschen! Tränen im Blick.
Wiedersehnsfreude! Umarmung! Das Glück! Die Heimat! Die Sprache! Welch’ güt’ges Geschick! Die Bilder von damals. Erzählen. Der Park ... Die Bäume ... der Teich: heut’ Gerümpelsarg.
Am dritten Oktober vereinigtes Land! Vom Monde zurück der Heimatstrand! Die Zukunft wird heilen in Gottes Hand Auch diesen Teil herrliches Vaterland!
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Wir waren Anfang Juni – kurz vor der Wirtschafts- und Währungsunion – für wenige Stunden in Rakow und trafen dort im ehemaligen Saal, zu der Zeit der Rakower HO-Laden, Lieschen. Sonthofen im Allgäu, 26. August 1990 |
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Lieschen 1994, Familientreffen in Schwerin,
Bus-Rundfahrt nach Radegast, Rosenhagen, Friedhof Neubukow,
Rakow.
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Lieschen 1994 mit Rosi und Benita, drei Rakowerinnen, vor Lieschens Haus am Ausgang von Rakow. |
Lieschens Grabstätte auf dem Friedhof Neubukow, Beerdigung
Anfang Oktober 2002.
Sie starb wenige Tage vor ihrem 81. Geburtstag.
Hans-Peter, Brigitte, Rüdiger und ich waren zur Beerdigung in
Neubukow und trafen dort auf dem Friedhof Walter und Grete Stage,
mit denen wir seitdem in engem Kontakt sind.
Walter wuchs in Rakow auf und ging noch ein Jahr mit Hans-Peter
in Pepelow zur Schule.
Grete kam mit ihrer Familie als Flüchtlinge aus Ungarn. Die
Familie wurde im Rakower Gutshaus einquartiert und bekam dort
das Schlafzimmer unserer Mutter zugewiesen.
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